Ich, du, er, sie, es … auf die Perspektive kommt es an

Haben Sie sich erst mal dazu entschlossen, mit dem Schreiben Ihres ersten Romans zu beginnen, stellt sich gleich zu Beginn die wohl wichtigste Frage: Welche Perspektive nutze ich beim Schreiben?

Dazu zunächst ein Überblick über die möglichen Erzählperspektiven, aus denen Sie wählen können.

  • Ich-Perspektive. Die am häufigsten genutzte Perspektive bei Schreibanfängern, weil sie relativ einfach wirkt. Allerdings kommt diese Perspektive nicht bei allen LeserInnen gut an. Fühlen Sie sich damit am wohlsten, nutzen Sie sie trotzdem. Die Vorteile liegen auf der Hand – Sie versetzen sich in Ihre Protagonisten und schildern alles, was passiert, aus deren Sicht. Außerdem können Sie die Technik des inneren Monologs verwenden, die gerade im Liebesroman wichtig ist und für viel Gefühl sorgen kann. Der Nachteil: Wenn Ihre LeserInnen sich nicht mit den Protagonisten identifizieren können, ist diese Perspektive heikel.
  • Personaler Erzähler. Der personale Erzähler schlüpft in die Rolle eines oder mehrerer Protagonisten und berichtet aus deren Perspektive. Der Vorteil hier ist, dass Sie die Erzählperspektive wechseln können, sodass Sie der Leserin z. B. auch die Perspektive des männlichen Protagonisten näherbringen können. Gleichzeitig können Sie auch bei dieser Erzählperspektive innere Monologe nutzen und so den LeserInnen Einblick in die Gefühlswelt der Figuren ermöglichen. Diese Perspektive ist im Liebesroman am häufigsten zu finden.
  • Auktorialer/allwissender Erzähler. Der allwissende Erzähler kann in alle Figuren hineinschauen und weiß, was in ihnen vorgeht. Allerdings ist er selbst nicht Teil der Geschichte, sondern steht sozusagen über ihr. In Liebesromanen wird diese Perspektive selten genutzt, weil sie sehr distanziert wirkt und den LeserInnen das Einfühlen in die Figuren erschwert.
  • Neutraler Erzähler. Im Gegensatz zum allwissenden Erzähler berichtet der neutrale Erzähler nur das, was von außen sichtbar ist. Er hat keinen Einblick in die Gefühlswelt der Figuren und wertet nicht. Diese Erzählform ist in der Belletristik insgesamt selten und wird überwiegend in dramatischen Erzählformen genutzt, wo sich die Geschichte aus den Dialogen ergibt. 

Für einen Liebesroman sollte man also zwischen Ich-Erzähler oder personalem Erzähler wählen. Der Unterschied in der Erzählweise ist hier dargestellt.

Ich-Erzähler

„Ich atmete seinen betörenden Duft tief ein. Ein Schauer lief durch meinen Körper, als er sich mir weiter näherte.“

Personaler Erzähler:

„Sie atmete seinen betörenden Duft tief ein. Ein Schauer lief durch ihren Körper, als er sich ihr weiter näherte.“

Sie sehen, der Unterschied ist nicht sooo groß. Der Vorteil, dass man mit dieser Perspektive die Sichtweisen einzelner Figuren ändern kann, allerdings schon. Insbesondere für Geschichten mit einem ausgefeilten Spannungsbogen kann sich diese Erzählperspektive daher anbieten. 

Um beim Schreiben zu überprüfen, ob man die Perspektive richtig „hält“, kann man einen einfachen Trick anwenden. Bei personaler Erzählperspektive sollte man jeden Satz auch aus der Ich-Perspektive schildern können. Ergibt das keinen Sinn, hat man die Erzählperspektive verlassen und befindet sich in der Perspektive allwissender Erzähler.

Ein Beispiel

Sie flocht ihr braunes Haar zu einem Zopf zusammen und betrachtete im Spiegel ihre grünen Augen.

In der Ich-Perspektive klingt das so: 

Ich flocht mein braunes Haar zu einem Zopf zusammen und betrachtete im Spiegel meine grünen Augen.

Würde jemand so von sich selbst erzählen? Schließlich ist mir klar, dass meine Haare braun und meine Augen grün sind. Darüber denke ich normalerweise nicht nach. Deshalb sollte man solche äußerlichen Selbst-Beschreibungen auch in der personalen Erzählperspektive nicht verwenden. 

Noch ein beliebter Fehler bei der personalen Erzählperspektive: 

Sie sah ihn lange an, dann lächelte sie. Seine Augen hatten denselben Effekt auf sie wie immer. Ihr wurde warm, wenn er sie so anschaute. „Was denkst du gerade?“, fragte sie leise.

Er war irritiert. Warum schaute sie ihn schon wieder so an? Hatte er etwas Falsches gesagt? Er wurde einfach nicht schlau aus ihr.

Dies sind zwei Absätze aus personaler Erzählperspektive, allerdings wechselt die Perspektive innerhalb kürzester Zeit. Dieses Phänomen wird Headhopping genannt und ist für den Leser sehr unschön zu lesen, weil es ihn aus dem Lesefluss reißt. Er muss im Kopf umschalten und zwischen zwei Perspektiven wechseln.

Das sollten Sie also tunlichst vermeiden. Wenn Sie Perspektiven wechseln möchten, nutzen Sie dazu Kapitelübergänge oder zumindest mehrere Absätze innerhalb eines Kapitels, die Sie dann deutlich voneinander trennen (zum Beispiel mit einem *). Ansonsten überfordern Sie den Leser mit zu häufigen Sprüngen, und er wird das Buch frustriert zur Seite legen. 

Beim Lektorat eines Romans wird der Lektor besonders auf die richtige Perspektive achten und solche Fehler aufdecken. Da Perspektivfehler besonders bei Schreibanfängern häufig vorkommen, nimmt diese Aufgabe einen großen Anteil beim Lektorat ein.

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