Aua, das tut weh

Viele Autoren, die ihr erstes Buch geschrieben haben und unsicher sind, ob sie sich dazu ein Lektorat „leisten“ sollen, kommen etwas ängstlich auf mich zu. Keine Angst, ich beiße nicht! Und nein, ein Lektorat tut nicht „weh“ (okay, das ist nicht ganz wahr, denn ich hatte tatsächlich auch schon schmerzhafte Lektorate bei Verlagen). 

Im besten Fall allerdings ist ein Lektorat nicht schmerzhaft, sondern hilfreich. Und bei allen „Fehlern“, die ich aus einem Text fische, spare ich nicht mit Lob und positiven Kommentaren, wenn mir an einem Roman gute Dinge auffallen. Und davon finde ich in der Regel viele – tolle Spannungsbögen, lebendige, realistische Charaktere, natürliche Dialoge, schöne Wortbilder und Metaphern, bewegende Emotionen, plastische Beschreibungen, eine aufregende Atmosphäre … 

Jeder Autor hat den einen oder anderen „Pferdefuß“ (der mir meistens recht schnell auffällt), vor allem aber auch mehrere Stärken, die mir ebenso schnell auffallen. Diese zu betonen und in den Vordergrund zu rücken, gehört ebenso zur Aufgabe eines Lektorats für Romane. Denn LeserInnen werden ihre Lieblingsautoren besonders für deren Stärken schätzen und lieben lernen, und diese sollten daher tunlichst gepflegt werden. Manche Autoren wissen selbst gar nicht, welche Stärken sie eigentlich besitzen. Oft sind sie überrascht, wenn ich entsprechende Kommentare an den Rand kritzle, dass sie dies oder jenes besonders gut machen. Aber es hilft, wenn man als Autor weiß, was man besser beherrscht als andere und was einem vielleicht eher nicht so liegt. Denn dann kann man beim Schreiben darauf achten, von dem einen ein bisschen mehr, von dem anderen dafür vielleicht etwas weniger einzuarbeiten.

Eine Autorin zum Beispiel hat ein sagenhaftes Talent für Dialoge. Jeder einzelne ihrer Dialoge liest sich wie aus einem Drehbuch und könnte so jederzeit in einem Film gesprochen werden. Seitdem sie das weiß, verzichtet sie auf einige innere Monologe, Beschreibungen oder indirekte Rede und baut so viele Dialoge wie möglich in ihre Texte ein. Und ihre LeserInnen lieben sie genau dafür!

Eine andere Autorin hat eine große Begabung darin, Gefühle zu vermitteln. Sie zaubert mit wenigen klug gewählten Worten Gänsehaut, Lächeln, Tränen in die Augen, Rührung … Seitdem sie weiß, dass sie darin eine Stärke besitzt, konzentriert sie sich beim Schreiben eher auf die Schilderung von Emotionen und verzichtet dafür häufiger mal auf langatmige Raumbeschreibungen (wozu ich ihr geraten habe, weil sie darin leider kein so großes Talent hat ;). 

Es ist also oft hilfreich, wenn man weiß, worin man besonders gut ist, um diese Stärken zu kultivierten, zu pflegen und in den Vordergrund zu rücken. So erschafft man sich mit der Zeit auch ein klareres Autorenprofil.

Von daher – keine Angst vor dem Lektorat! Wir tun nichts, wir wollen die Welt nur ein klein bisschen schöner machen … 

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